Einblicke & Reflexionen: 1920ER - IM KALEIDOSKOP DER MODERNE / Ausstellung und Publikation der Bundeskunsthalle Bonn

*** Diesen Beitrag haben wir aus persönlichem Interesse verfasst. Damit machen wir unbezahlte Reklame. ***


 

Als wir erwartungsvoll den Ausstellungsraum der Bundeskunsthalle betraten, mochte sich auf den ersten Blick nun so gar keine 20er-Jahre-Atmosphäre einstellen, die den klischeehaften Vorstellungen von dieser Dekade entspricht. Nichts Verruchtes, Verrücktes, Wildes, Goldenes, sondern sichtbare Steckkonstruktionen aus Aluminium und kühles Licht. Der kubusartige Raum mit seinen 10 Metern Deckenhöhe wirkte in seinem Flächenmaß sehr überschaubar, und wir dachten: „Na, da sind wir ja in einer halben Stunde durch“. Tatsächlich waren es – mit einer Atempause im Museumscafé GUSTAV – letztlich fünf Stunden, in denen wir in die 1920er Jahre ein- und aus denen wir mit vielen neuen Erkenntnissen und Sichtweisen wieder auftauchten.

Mit verantwortlich dafür ist das kaleidoskopartige Ausstellungskonzept. Der Titel der Ausstellung wird tatsächlich in ein Raumkonzept umgesetzt, das immer wieder neue Sichtachsen eröffnet und überraschende Ausblicke verschafft, das kleinste Exponate ebenso zur Geltung bringt wie die gesamte Raumhöhe füllende Photographien des Stadtlebens von Berlin, Paris und Chicago. Die Titel der einzelnen Sektionen wie „Flexible Identitäten“ und „Neue Medien“ stellen keine aufgesetzen Bezüge zur Gegenwart dar, sondern fassen das zu Sehende tatsächlich zusammen: Unsere 2020er Jahre scheinen den 1920er Jahren ähnlicher zu sein als alle dazwischen liegenden Dekaden!

 

Aber entspricht dies auch der Realität? Zu vielen Exponaten, die uns faszinierten, möchten wir weiter recherchieren, tiefer eintauchen. Ausgangspunkt hierfür wird der gleichnamige Ausstellungskatalog sein, der als beeindruckendes, eigenständiges Werk besticht. Natürlich bietet dieses keine „Sichtachsen und Ausblicke“, aber es ist in seinem zum Teil haptischen Druck und dem Wechsel zwischen glänzenden und matten Abbildungen eine Augenweide ganz eigener Art (siehe Links und ersten Bilder der Galerie unten). Sehr bereichernd auch die Essays, die unsere Eindrücke aus der Ausstelllung noch einmal gedanklich abbilden. Dort ist dann auch zu lesen: „Wir tun heute gut daran, die 1920er Jahre immer auch als eine Erzählung zu begreifen. [...] Dass es ein Vulkan war, auf dem sie gerade tanzten, war den meisten Zeitgenossen der 1920er Jahre sicher nicht bewusst, zumindest nicht so, wie man sich das heute gern vorstellt. […] Trotz aller Zukunftsängste, die die Menschen damals auch hatten, stellen sich die 1920er als ein offenes Feld der Möglichkeiten dar, in dem man das echte Leben […] ohne die Restriktionen spätmoderner Moral und political correctness genießen konnte.“ (Jens Wietschorke, 1920er - Im Kaleidoskop der Moderne, S. 51)

 

Wir empfehlen beides, den Genuss von Buch und Ausstellung – die man noch bis zum 30. Juli 2023 in der Bundeskunsthalle in Bonn erkunden kann. Bei aller konzeptionellen Strenge gönnt sich das „Kaleidoskop der Moderne“ in einem Nebenraum dann doch noch eine Spielerei, die es uns ermöglichte, als Sänger einer Jazzband aufzutreten oder uns zu einem Rendezvous im  nächtlichen Berlin zu treffen…

 

Zur Ausstellung: https://www.bundeskunsthalle.de/1920er.html
Zur Begleitpublikation: https://verlag.sandstein.de mit "Blick ins Buch": https://verlag.sandstein.de/reader/98-743_1920er/

 

Photos: Redaktion WinterSturm



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